Die Welt brennen sehen wollen
Feuerwerk als Kulturtechnik
Eine der wenigen Konstanten, die man im Jahr noch hat, ist die am Ende des Jahres wieder hoch kommende Böllerdebatte; postulierte der Medienessayist Fynn Kröger kurz nach Neujahr 2025 im Gespräch über die erwartbaren Ereignisse in der vorangegangen Silvesternacht.[Q1] Tatsächlich jagt seit etwa zehn Jahren online die Nachfrage nach dem Schlagwort des Böllerverbots den des Böllers mit einer Lotka-Volterra-artigen Regelmäßigkeit.[Q2 und siehe Abb.: 1] Nachdem sich mit der Normalisierung der Pandemie und dem Ende der Aussetzung des Silvesterfeuerwerks auch die Nachfrage an Feuerwerkskörpern erhöhte,[Q3] erhärtete sich auch die öffentliche Diskussion um ein Verbot. Dabei hat sich jüngst ein doch erstaunliches Bündnis gegen das Böllern hervorgetan, dem neben einer Vielzahl an Umweltvereinen wie der Deutschen Umwelthilfe oder Peta auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) angehört. Mit politischer Unterstützung des Vorhabens von SPD, Grünen und Linken durch Landesvorhaben oder sogar die Aufnahme in Bundeswahlprogramme akkumuliert sich eine Gruppe aus Streitern, die sonst allein symbolisch nicht in einem Zug genannt werden möchte.[Q4] Aus allen Ecken der Gesellschaft schallt es nach einem Verbot. — Gibt es da überhaupt noch Gründe für das Zündeln und was offenbart die öffentliche Debatte über die Gesellschaft, die sie führt?
Gesellschaften konstituieren sich um, durch und aus ihren Kulturtechniken. Ihre wechselhafte Beziehung zeigt sich sowohl in konkreten Praktiken, wie dem Lesen, Schreiben, Kochen oder auch dem Programmieren, als auch symbolischen Operationen, wie religiösen Ritualen oder der Schaffung von künstlerischen Artefakten. Wie sich eindrücklich am Kochen zeigt, das neben der Herstellung von Nahrung auch ästhetischen Zwecken dient und in unterschiedlichsten kulturellen Kontexten steht, sind Kulturtechniken oftmals beides.[Q5] Seit das Schwarzpulver durch moderne Sprengstoffe abgelöst wurde ist das Feuerwerk, gerade als Tradition zu Neujahr, vornehmlich eine symbolische Praxis. Die Technik, die als Ritual für die Begrüßung des Neuen steht, schafft durch Licht, Geräusch und mitunter auch Geruch ein gewaltvolles Spiel, das ästhetisch begeistern soll. Ein außeralltägliches Moment zwischen den Feiernden. Kurzzeitig üben unterschiedlichste Teile einer Gesellschaft eine gemeinsame Praktik aus oder kommen in ihren Genuss.
Geschichten und Traditionen des Feuerwerks reichen über mehrere Jahrhunderte und Kulturen. Die Erfindung des Schwarzpulvers wird von gleich mehreren beansprucht. So gilt der im 14. Jahrhundert in Freiburg lebende deutsche Franziskaner Berthold Schwarz als namensgebender Erfinder. Dagegen hält die Behauptung, dass bereits im 13. Jahrhundert der englische Alchemist Roger Bacon das Pulver erfunden hätte. Einspruch zu beiden Linien hält China. Nach ihrer Behauptung hat ein Mönch namens Li Tan das Schwarzpulver entdeckt. Mit diesem sollen bereits um das Jahr 1000 Bambusstäbe zu Neujahr zum Explodieren gebracht worden sein. Unabhängig der Frage, wer letztendlich Erfinder:in des Pulvers gewesen ist, so ist aber, gerade das Neujahrsfeuerwerk, nach dem Regensburger Kulturwissenschaftler Manuel Trummer, eine neuzeitliche Erfindung. In Europa trat Feuerwerk die Nachfolge von Salutschüssen an den Höfen an, hier galt Italien als Vorreiter. Höhepunkte fand das Feuerwerk als Statussymbol besonders im absolutistischen Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert. Das private Feuerwerk etablierte sich dagegen erst nach dem zweiten Weltkrieg unter dem Einfluss des Wirtschaftswunders in Deutschland.[Q6]

Heute sind Produktion und Zündung entkoppelt. Private Pyrotechnik ist ein industrielles Massenprodukt, das wie andere Unterhaltungsgüter der Kulturindustrie, wie Film, Musik oder Lebensmitteln aus hochgradig arbeitsteiligen Prozessen entsteht. Unter der Industrie des Feuerwerks, das einst selbst als Technik aus der Charakteristik der Gesellschaft hervorgegangen ist, beteiligt sich die Kulturtechnik an der Konstruktion einer neuen Gesellschaft. Mit der nicht erfassbar großen Verfügbarkeit, die trotz des fast ganzjährigen Verkaufs- und Nutzverbotes besteht, entstehen Nutzarten, die vor allem auf Masse und möglichst viel »Krawumms« basieren.
Gerade das Ausmaß, in dem Feuerwerk hier stattfindet, ist dabei oft ausschlaggebend für die Kritik daran. Dabei lassen sich vier Punkte ausmachen, die regelmäßig angebracht werden. (1) Feuerwerk ist schlecht für die Umwelt. Das laute Knallen und die vielen grellen Lichter beängstigen und stören viele Wild- und Haustiere. Zudem seien sie und die Menschen durch Feinstaubbelastungen, eine hohe CO2-Freisetzung und viel Dreck auf den Straßen sowie der sogenannten Natur zusätzlich leidtragend.[Q7] Daran schließt an, dass (2) Feuerwerk allgemein Verschwendung ist. Es ist Symptom einer nicht rationalen Konsumgesellschaft, die über falsche Bedürfnisse versucht Unstimmigkeiten zu kompensieren.[Q7] Deutlich nahbarer sind (3) die Angriffe auf Schutz- und Rettungskräfte. Gerade Menschen aus dem Gesundheitswesen berichten jährlich, dass es an diesen Tagen aufgrund vermehrter Unfälle zu Versorgungsengpässen kommt. Fachkräfte wie zum Beispiel Sanitäter erzählen zudem, dass sie während ihrer Einsätze mit Feuerwerkskörpern beworfen und -schossen werden.[Q8] Als letzter Punkt wird (4) häufig angebracht, dass das Explosionsknallen für Mitbürger:innen, die aus Kriegs- und Krisengebieten fliehen mussten, retraumatisierend sein kann.[Q9] Trotzdem ist Feuerwerk nicht grundsätzlich zu verurteilen. Viele Menschen begeistert die gewaltige Mischung aus Licht und Knall. Das private Feuerwerk birgt außerdem ein Moment der Selbstwirksamkeit. Auch wenn es sich eher um eine neuere Tradition handelt, ist anzuerkennen, dass es für viele Menschen dazugehört. Vielleicht liegt auch gerade in der Sinnlosigkeit eine Sinnlichkeit, eine Freude, an der es häufig fehlt. Damit würde ein Verbot auch vielen Menschen etwas nehmen.
Einige der Kritikpunkte sind unter Betrachtung technischer, kultureller und umfassenderen Datenlagen und Erkenntnissen zu entkräften oder zumindest diskutabel. So sind CO2-Freisetzung und Feinstaubbelastungen zu vernachlässigen. Obwohl durch Silvesterfeuerwerk viel Kohlenstoffdioxid freigesetzt wird, liegt der Anteil an den jährlichen deutschen Treibhausgasemissionen nur bei etwa 0,00013 Prozent. Entsprechend misst auch das Bundesumweltamt dem eine geringe Bedeutung zu.[Q10, S. 8] Die Freisetzung von Feinstaub wird etwas kritischer eingeordnet. Da nach der Silvesternacht die, nach WHO definierten, gesundheitlich unbedenklichen Schwellenwerte jährlich überschritten werden. Gleichzeitig zeigt die Datenlage aber auch, dass die Werte bereits nach wenigen Stunden wieder unbedenkliche bis normale Zustände erreichen. Gesundheitsrisiken für Feinstaub entstünden zudem erst, wenn die Schwellenwerte an mehr als 35 Tagen pro Jahr übertroffen würden.[Q10, S. 9] Trotzdem empfiehlt das Bundesumweltamt — besonders unter dem Verweis, dass viele Menschen und Tiere, für die besonders die Lautstärke des Knallens belastend sei, dankbar wären — auf Feuerwerk am besten gänzlich zu verzichten.[Q10, S. 12-14] Dagegen halten kann ein Blick in Technik und Aufbau der Feuerwerkskörper. Die Lautstärke, die das Knallen häufig erzeugt, müsste es theoretisch gar nicht geben. Wie auch die verschiedenen Lichteffekte Ergebnis bestimmter Bauarten sind, ist auch der Ton bewusst mitentwickelt. Zum Schutz von Tieren, sowie auch zur Abschwächung von retraumtisierenden oder belästigenden Effekten, wäre es also möglich leiseres Feuerwerk zu produzieren.

Viele Argumente, die gegen das Feuerwerk angeführt werden, beruhen zudem auf Punkten, die auch an anderen Tagen kritisch sind, allerdings zu Silvester und Neujahr besonders sichtbar sind. Das entkräftet die Punkte nicht, macht sie aber weniger scharf. Gerade Umweltverschmutzung durch Schadstoffe, Licht und Töne stören ganzjährig ökologische Kreisläufe. Auch das Gesundheitssystem ist nicht nur an diesen Tagen, sondern grundsätzlich überlastet. Wie sinnvoll ein Verbot, das nur einen geringfügigen Lastenanteil reduzieren würde, aber vielen Menschen Freude nehmen würde, ist allein symbolpolitisch fraglich. Allgemein drängt sich die Frage auf, ob hinter den Vorwänden der Debatte andere Missstände versteckt werden. Dazu könnte zum Beispiel auch gehören, ob die Gesellschaft nicht ein Alkoholproblem hat, das Auslöser vieler Eskalationen ist. Oder auch, ob es gerade da ausartet, wo sich Menschen von der Gesellschaft abgehängt fühlen. Oliver David hat zu dieser These vor wenigen Jahren ein spannendes Essay für die taz geschrieben. [Q11]
Statt mit einem Verbot gegen die Probleme, die durch das Silvesterfeuerwerk verursacht werden, vorzugehen, benötigt es Auseinandersetzung und die Etablierung von neuen Feierkulturen. Die Geschichte zeigt, dass die Tradition gar nicht so alt ist und immer in Wechselwirkung zur Gesellschaft stand. An vielen Orten, wie zum Beispiel 2024 in Griechenland,[Q12] gibt es bereits Ersatz durch zum Beispiel Laser- und Drohnenshows. Unabhängig davon, dass die Vorstellung, hunderte Drohnen über die eigene Stadt fliegen zu lassen, etwas Gruseliges hat, ist der Ansatz spannend. So wie seit 2005 das Festival of Lights in Berlin mit zuletzt 3,5 Millionen Besucher:innen viele Menschen auf die Straßen brachte,[Q13] so könnte das auch für Silvester eine vielversprechende Alternative sein. Vollkommen ohne richtiges Feuerwerk muss es aber auch nicht sein. Allein, weil seine Digitalisierung, das Feuerwerk um einen wichtigen Aspekt beraubt: Seiner Vergänglichkeit. Die Unmöglichkeit der exakten Reproduzierbarkeit steht im Gegensatz zur alltäglich gewordenen Digitalität.
Ein naiver Traum zum Schluss: Vielleicht ist, zu einer Zeit, in der Arbeitsteilung und Distanz zu den Dingen so enorm geworden sind, dass es fast keine Berührung mehr gibt, der Moment, um dem vermeintlich unsinnigen Vergänglichen einen Platz einzuräumen. Was wäre, wenn Feuerwerk vor dem Fest gemeinschaftlich gebaut würde? Wenn sich in Kleinstädten und Kiezen Nachbarn treffen würden, um gemeinsam zu feiern, wie am Morgen danach sauber zu machen? Welche Effekte könnte das auf all die Probleme haben, für die als Auslöser das Feuerwerk angeführt wird?
— Wer möchte die Welt brennen sehen?
Bonus
Wie im Text angesprochen, kann mittels unterschiedlicher chemischer Zusätze die Flammenfarbe verändert
werden. Mittels festhaltenden Klickens auf die Periodensystem-Felder können solche Flammenfärbungen
simuliert werden.